Innenentwicklung dorfräumlich gedacht

Drei Strategien für eine erfolgreiche und identitätsstiftende Nachverdichtung im Ortskerngebiet.

FERDINAND SCHACHINGER - MASTER THESIS ARCHITEKTUR - SOMMER 2019

Der stetig voranschreitende Strukturwandel im ländlichen Raum ist eine starke Triebfeder für weitreichende Reflektions- und Erneuerungsprozesse innerhalb aller Planungsinstanzen der räumlichen Entwicklung. Grenzüberschreitend stehen betroffene Gemeinden vor der Herausforderung, die richtigen Werkzeuge in die Hand zu nehmen, um den hohen Flächenverbrauch am Ortsrand einzudämmen und die Attraktivität der Ortsmitten zu stärken.
Die vorgelegte Arbeit begleitet die Gemeinde Hüttwilen (Regio Frauenfeld) in diesem Prozess der planerischen Neuausrichtung und entwickelt im Rahmen eines „erweiterten Entwurfslabors“ ein ganzheitliches städtebauliches Konzept. Im Vordergrund steht dabei die zentrale Fragestellung, inwiefern sich ausgehend von einer profunden Analyse der dorfräumlichen Zusammenhänge typologisch differenzierbare Strategien einer raumbasierten Bauleitplanung entwickeln lassen. Dabei wird deutlich, dass der Prozess der Innenentwicklung keinesfalls als Nachverdichtung „um jeden Preis“ missverstanden werden darf, sondern vielmehr die Rückkehr zu einem organischen Wachstum der Siedlungsstruktur und insbesondere ihres räumlichen Zusammenhangs bedeutet. Die vorgeschlagene Lesart des Dorfes, nicht als Summe seiner Architekturen, sondern als Summe seiner Räume – als Raumnetzwerk –, bildet die Grundlage für die entwickelte städtebauliche Entwurfsmethodik.

Das städtebauliche Entwicklungskonzept verfolgt gezielt die Weiterentwicklung und Stärkung der in der Analyse herausgearbeiteten dorfräumlichen Zusammenhänge. Die projektierten Neubauten sind dabei als funktionale Bausteine zu begreifen, denen spezifische Aufgaben der Raumbildung zukommen. Entsprechend ihrer Funktion lassen sie sich typologisch in drei Kategorien einteilen, denen wiederum drei verschiedene städtebauliche Entwicklungsstrategien zugeordnet werden können. Liefert ein qualitätvoller Kontext ausreichend Regeln zum Weiterbau, so lässt sich durch präzise Setzung einfacher Baukörper im Rahmen einer „stillen Nachverdichtung“ die Logik des räumlichen Gefüges schlüssig fortführen und erweitern. Mittels der Strategie der „passgenauen Vervollständigung“ gewinnt ein zunächst unvollständiger dorfräumlicher Zusammenhang durch Ertüchtigung oder gezielte Ergänzung von raumbildenden Elementen originär an Qualität. In bestimmten Situationen ist eine dorfräumliche Erweiterung denkbar und wünschenswert, sofern die Maßnahme stark kontrolliert, begrenzt und flächeneffizient erfolgt. Hier eignet sich die Anwendung der „Ensemble“-Strategie, bei der eine Gruppe von Gebäuden – die zueinander in Ähnlichkeitsbeziehung stehen – eine klar definierte dorfräumliche Erweiterung aufspannt. Auf Grund hoher Anforderungen an planerische Qualität und architektonische Präzision liegt im Idealfall die Entwicklung ganzheitlich im Kompetenzbereich der Gemeinde. Der im Rahmen der vorgelegten Arbeit entwickelte exemplarische Entwurf des neuen Gemeindezentrums der Gemeinde Hüttwilen veranschaulicht das entsprechende Vorgehen der „Ensemble“-Strategie.

Die Anwendbarkeit der drei erarbeiteten Nachverdichtungsstrategien wurde im Rahmen der Arbeit im gesamten Ortsgebiet von Hüttwilen nachgewiesen. Aus dem dorfräumlichen Kontext abgeleitet und situationsgerecht angewendet, bilden sie in ihrer Gesamtheit ein Instrumentarium, mit dem sich gezielt die Anforderungen einer gelingenden Innenentwicklung erfüllen lassen. Jede der drei Strategien erfordert einen unterschiedlichen Planungsaufwand. An dieser Stelle eröffnet sich die Perspektive für eine, an die jeweilige Strategie angepasste, neue Form der Bauleitplanung auf Gemeindeebene.

(aus dem Erläuterungstext zum Projekt, Autor: F. Schachinger)

Ausgewählte Bilder

Auszeichnungen

Die Arbeit wurde mit dem Förderpreis der Akademie Ländlicher Raum Bayern für den wissenschaftlichen Nachwuchs 2020 ausgezeichnet.