Netzwerk jüdisches Kulturerbe

Positionspapier des Netzwerks jüdisches Kulturerbe

Idee

Jüdische Kultur und Geschichte spiegeln sich in Zeugnissen wider, deren Erforschung und Interpretation Ziel unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen ist. Gegenstände des jüdischen Kulturerbes geben auf vielfältige Art und Weise Auskünfte über politische, soziale und ökonomische, aber auch über religiöse, geistige und künstlerische Entwicklungen bis in die Gegenwart. Solche Gegenstände, Wissensbestände und Traditionen systematisch zu dokumentieren, zu bewerten und zu kontextualisieren, sie zu erhalten und das Wissen um sie an eine breite Öffentlichkeit zu vermitteln ist eine Aufgabe, die nur interdisziplinär, im internationalen Austausch und mit Einbindung verschiedenster Institutionen (Hochschulen, Museen, Denkmalpflege, jüdische Gemeinden, lokale und regionale Initiativen, Fachleute) erfolgreich und dauerhaft bewältigt werden kann.

Ziele

Mit dem „Netzwerk jüdisches Kulturerbe“ soll eine langfristige Kooperation aufgebaut werden, in deren Rahmen die Forschung, die akademische Lehre, die Fortbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses, die Bewahrung der Objekte und die öffentliche Vermittlung von Themen jüdischer Kultur und Geschichte auf breit gefächerter methodischer Grundlage stattfindet. Die Mitglieder des offenen Netzwerks streben einen intensiven Austausch an, um partnerschaftliche Forschungsvorhaben, Konferenzen und Publikationen umzusetzen. Damit wird erreicht, das Themenfeld „materielle und immaterielle Kultur“ im Hinblick auf jüdische Kultur in neuer Perspektive im wissenschaftlichen Diskurs zu verankern und größere Aufmerksamkeit auf die Zeugnisse selbst zu lenken. 

Die Bet Tfila – Forschungsstelle für jüdische Architektur in Europa, Technische Universität Braunschweig / Hebrew University of Jerusalem, und das Europäische Zentrum für Jüdische Musik, Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, haben mit den Tagungen in Greifswald (2015) und Braunschweig / Hannover (2016) eine grundlegende Initiative zur Etablierung einer solchen langfristigen Kooperation gegeben. Die Struktur und weitere inhaltliche Ausrichtung des Netzwerks jüdisches Kulturerbe wird sich im Rahmen künftiger (Projekt-) Arbeit der Akteure und Partner entwickeln. 

Ziel des Netzwerks jüdisches Kulturerbe ist es, gemeinsame Projekte, Tagungen und Publikationen zu initiieren und durchzuführen. Das Netzwerk versteht sich als ein Forum zur Ideenfindung und koordinierten Vorbereitung von Forschungs- und Vermittlungsprojekten. Auf regelmäßigen Arbeitstreffen und im stetigen Dialog tauschen sich die Beteiligten über aktuelle Fragen der Forschung und Lehre aus. 

Das Netzwerk gibt den Rahmen, zu den vielfältigen Themenfeldern des jüdischen Kulturerbes Cluster von Institutionen und Fachleuten zu bilden, indem es die Expertisen unterschiedlicher Disziplinen zusammenführt. Eine Arbeitsstelle wird als Ansprechpartner für alle Beteiligten und für Anfragen anderer Interessierter dienen. Eine Website sowie eine Mailing-List bilden die Kommunikationsplattform.

Ein wesentliches Ziel ist es, das Themenfeld in der akademischen Lehre besser zu verankern, zum Beispiel durch die Einrichtung eines Graduiertenkollegs bzw. eines Schwerpunktprogramms. Weitere Veranstaltungen (Exkursionen, Lehrprogramme, Summerschools etc.) sollen den Austausch unter Forschenden, Lehrenden und Studierenden fördern. Zudem soll der Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Gesellschaft wechselseitig in unterschiedlichen Formaten gestärkt werden.

Aktuelles

DFG-Schwerpunktprogramm "Jüdisches Kulturerbe"

Laufzeit: 2021 - 2027

Die Kernfrage des Schwerpunktprogramms gilt Entwicklungen des gesellschaftlichen und kulturpolitischen Stellenwerts und Umgangs mit jüdischem Kulturerbe in Europa angesichts der Bedingungen wachsender kultureller, sozialer und religiöser Diversität. 

Die heutigen Gesellschaften sehen sich zunehmend politischen Herausforderungen gegenübergestellt, die mit Fragen von Identität und „transhistorischer Gerechtigkeit“ verknüpft sind. Reaktionen darauf sind politische Projekte, die – wie die Idee eines geeinten Europas – über das Paradigma des Nationalstaats hinausgehen, aber auch wiederauflebende nationale Bewegungen, die nicht selten anti-europäisch, antisemitisch und rassistisch eingestellt sind. 

Vor diesem Hintergrund avanciert „jüdisches Kulturerbe“ zu einer Ressource für politische Intervention von paradigmatischer Qualität, mittels derer die Gesellschaften zu „Toleranz“ erzogen werden sollen. Dabei drängt sich die Frage auf, was aus dem bisherigen Umgang mit jüdischem Kulturerbe für die heutigen gesellschaftlichen Herausforderungen abgeleitet werden kann. 

Anliegen des SPP ist daher eine Reflexion der Diskursivierung des kulturellen Erbes europäischer Juden unter Einbeziehen der Critical Heritage Studies. Damit verbunden ist eine Neubetrachtung der Konzepte „jüdisches Kulturerbe“ (als kulturpolitische Ressource) und „Jewish Heritage“ (als Gesamtheit aller Ausdrucksformen jüdischen Lebens) sowie der mit ihnen verknüpften Prozesse. Ausgangspunkt der Diskurse des SPP ist daher eine kritische interdisziplinäre Auseinandersetzung mit den Entstehungszusammenhängen, Transmissions- und Innovationsprozessen jüdischen Erbes sowie die Frage nach Strategien zur Einbindung jüdischer Gemeinschaften und Institutionen in die Prozesse der Patrimonialisierung ihres Erbes. 

Ziel des SPP ist es, „jüdisches Kulturerbe“ in neuer Weise transdisziplinär zu betrachten und bisherige wissenschaftliche, denkmalpflegerische, museologische und kulturpolitische Arbeiten auf diesem Gebiet kritisch und damit zukunftsweisend zusammenzuführen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten um Darstellungsformen und Restitution der im kolonialen Kontext geraubten Kulturgüter soll jüdisches Kulturerbe mit Einbindung jüdischer Akteur*innen neu diskutiert und definiert werden. 

Das SPP führt dabei diverse Disziplinen zusammen, die sich mit den Gegenständen und Konzepten jüdischen Erbes befassen: Methoden und Forschungsgegenstände sollen in interdisziplinär angelegten Teilprojekten und projektübergreifenden Formaten ausgetauscht und abgeglichen werden. Neben den einschlägigen Disziplinen Jüdische Studien, Geschichte, oder Literaturwissenschaft soll vor allem der Blick „von den Rändern“ auf Konzepte und Gegenstände jüdischen Erbes einbezogen werden: Musikwissenschaft, Architektur, Archäologie, Kunstgeschichte, Denkmalpflege, Museologie, Philosophie, (empirische) Kulturwissenschaften / -anthropologie und Critical Heritage Studies werden Perspektiven liefern, die eine neue Zusammenschau ermöglichen.